Immer wieder begegnen mir in meiner Tätigkeit Pferde, die Kuhlen zwischen Widerrist und Schulterblatt haben. Manchmal wird dies mit der Behauptung verharmlost, das Pferd habe einen schmalen Widerrist oder eine „gute Sattellage“. Mancherorts wird das Problem erkannt und man spricht von Trapezmuskelatrophie und Trapezmuskelschwund – da werden dann teure Geldpads oder Trapezmuskelentlastungssattelunterlagen, unterschiedlich aufgedoppelte Satteldecken, usw. verwendet in der Hoffnung, den Trapezmuskel damit wieder aufzubauen. Doch was steckt wirklich hinter dem Symptom der Kuhlen am Widerrist und hinter dem Schulterblatt.
Der Trapezmuskel (Musculus trapezius) ist ein sehr dünnhäutiger Muskel, der aus einem Hals- und einem Brustteil (Pars cervicalis und Pars thoracica) besteht und unterstützend für die Bewegung des Schulterblatts zuständig ist. Der Trapezmuskel ist nur wenige Millimeter stark und liegt wie eine dünne Kapuze über weiteren tieferen Muskelschichten. Eine Atrophie im Bereich des Trapezmuskels könnte also niemals sichtbare Kuhlen im Rückenbereich des Pferdes hervorrufen.
Was passiert stattdessen wirklich:
die tieferen Muskelschichten, die für die Aufhängung des Brustkorbes zwischen den Schulterblättern sowie der Bewegung des Rückens zuständig sind, sind in ihrer Funktionalität eingeschränkt und können nicht losgelassen arbeiten, u.a. der Lange Rückenmuskel (M. longissimus dorsi), Rautenförmige Muskel (M. Rhomboideus), Breite Rückenmuskel (M. latissimus dorsi) und der Dornmuskel (M. spinalis). Dem Dornmuskel kommt dabei besondere Bedeutung zu, da es sich dabei um einen stark mit Nerven durchzogenen Muskel handelt, der Ursprung und Ansatz direkt an den Dornfortsätzen der Wirbelsäule hat. Der Dornmuskel ist der Muskel, der rund um den Widerrist zu fühlen ist. Sind nun diese Muskeln samt der zugehörigen Faszien in ihrer Tätigkeit eingeschränkt oder blockiert führt das zu Muskelabbau (Atrophie) in bestimmten Bereichen.
Die Ursachen, die zur Entstehung der Kuhlen führen sind vielfältig. Als erstes ist wohl ein unpassender Sattel bzw. häufig das zu schmale Kopfeisen des Sattels (bzw. beim Westernsattel Fork) zu nennen. Weiterhin aber auch oft der Aufbau des Sattels, nämlich dann wenn die vorderste Gurtstrupfe direkt am Vorderzwiesel befestigt ist und damit das Kopfeisen zu fest hinter dem Schulterblatt fixiert wird. Auch die Steigbügelaufhängung direkt am Vorderzwiesel kann zu einer Überbelastung der Muskeln im Schulterbereich führen. Besser sind sog. Trachtensättel, an diesen ist die Gurtung sowie die Steigbügelaufhängung an den Trachten und nicht am Kopfeisen befestigt. Das sorgt für eine wesentlich bessere Gewichtsverteilung, damit die Rückenmuskulatur des Pferdes uneingeschränkt arbeiten kann.
Aber auch nicht pferdegerechte Reitweise sorgt für Muskelprobleme und Kuhlen hinter dem Widerrist, nämlich dann wenn das Pferd durch die Reitweise daran gehindert wird, den Rücken aufzuwölben oder wenn mit zu tiefer Hals-Kopf-Haltung der Brustkorb zwischen den Schulterblättern absinkt. Auch zu erwähnen: wenn das Pferd bis zur Erschöpfung geritten wird und dann der Brustkorb absinkt, weil dem Pferd schlicht die Kraft ausgeht – sog. Trageerschöpfung, Trageschwäche.
Fast immer geht eine Atrophie der Rückenmuskulatur einher mit einer verspannten Brustmuskulatur. Der Körper ist ein ganzheitliches System (seit einiger Zeit wird gerne der Begriff Tensegrity-Modell verwendet) alles ist miteinander verbunden.
An dieser Stelle möchte ich auch die Psyche des Pferdes nicht unerwähnt lassen: durch die permanent „falsche Benutzung der Muskulatur“ und die damit einhergehenden Bewegungseinschränkungen und evtl. Schmerzen ist das Pferd unter Dauerstress. Manche Pferde zeigen dies durch Hyperaktivität bis Schreckhaftigkeit andere wiederrum durch Resignation und „Faulheit“ je nach Charakter.
Was ist nun die Lösung:
SEHEN LERNEN, dem Pferd ZUHÖREN und ERKENNEN, wenn das Pferd Probleme hat, BEVOR es zu derart sichtbaren (und schmerzhaften) Symptomen wie Kuhlen hinter dem Widerrist kommt. Wenn es soweit ist, dass die Muskulatur atrophiert, hat das Pferd in der Regel schon einen langen Leidensweg hinter sich. Pferde leiden still, sie kommunizieren über Körpersprache.
Achten Sie bitte darauf: Wenn das Pferd verspannte Muskulatur hat und auf Berührungen mit Unbehagen oder Abwehr reagiert, wenn der Rücken „unförmig aussieht oder die Hufe eine ungleichmäßige Form haben, wenn sich das Pferd beim Reiten verhält oder wegrennt, sich zu einer Seite nicht biegen lässt, wenn es beim Satteln schnappt oder beim Aufsteigen nicht still steht. Hören Sie auf Ihr Pferd, mit diesem Verhalten versucht Ihr Pferd Ihnen etwas mitzuteilen!
Wenn es schon zu Schäden in der Muskulatur gekommen ist und der Brustkorb des Pferdes evtl. schon dauerhaft abgesunken ist (Trageerschöpfung / Trageschwäche / hinten scheinbar überbaut) hilft nur ein systematisches Umstrukturieren der Körperhaltung des Pferdes mittels Physiotherapie und durchdachtem Training. Unser Pferd ist unser Partner. Es liegt in der Verantwortung von uns Menschen für Wohlbefinden und Gesundheit unseres Pferdes zu sorgen.